The Walking Dead - Eine Soap mit Zombies oder doch mehr als das?

Für eine Woche krankgeschrieben, vom Unterricht befreit und zu Hause das Bett hütend, durchsuchte ich das Internet von zweitausendzwölf nach Ideen, was ich mir in dieser Zeit gemütlich anschauen konnte. Da entschied ich dann irgendwann, diese Zombie-Serie auszuprobieren, die jetzt schon eine Weile lief und sehr beliebt schien.

Vom ersten Moment hatte mich 'The Walking Dead' ganz schnell am Haken. Die Show war wie eine nie endende Catchphrase. Binnen weniger Tage hatte ich dann die ersten beiden Staffeln durch und ging auch die dritte gleich an, bis ich den zu dem Zeitpunkt aktuellen Stand erreicht hatte. Wie ungeduldig ich sein konnte, hatte ich bis dahin nie realisiert, aber das Warten auf die jeweils nächste Folge war damals eine echte Qual für mich als Teenager. Durch 'The Walking Dead' habe ich das Binge Watching für mich entdeckt. Noch nie hatte ich neuen Folgen einer Serie so sehr entgegengefiebert. Heute, etwa zehn Jahre nach meinem Einstieg in diese Welt, ist die Mutterserie nun vorbei und ich blicke auf das Ende meiner saisonalen Anfälle der Ungeduld. Dass das Ende einer Fernsehserie mir mal so nahegehen würde, hätte ich niemals vermutet. Aus dieser momentanen Emotionalität heraus habe ich beschlossen, den Original-Soundtrack zur Show über Spotify laufen zu lassen und diesen Text zu verfassen.

Vorne weg: Mir ist klar, dass die Serie hier und da vor allem erzählerische Mängel aufweist, dass das CGI an einigen Stellen besonders problematisch aussieht oder Kontinuitätsfehler bestehen. Und so weiter. Dies soll keine blinde Lobeshymne an die Show sein. Wenn ich mir allerdings Kommentare vieler "Aussteiger" durchlese, denke ich oft den folgenden Satz: "Ihr habt aus den falschen Gründen eingeschaltet!" 'The Walking Dead' war niemals an erster Stelle eine Serie über Untote, ein Versprechen von DEM Horrorerlebnis schlechthin oder ein potenzieller Action-Hit. "Soap mit Zombies"? Wer das so sieht, dem empfehle ich an dieser Stelle 'Army of the Dead'.

***Disclaimer: Um dem folgenden Text voll und ganz folgen zu können, wäre zumindest eine grobe Kenntnis der Story und Figuren ideal. Aber der Punkt, den ich hervorheben möchte, sollte in jedem Fall verständlich sein. Spoiler... wird es geben.***

The New World

'The Walking Dead' beginnt mit dem Einzelschicksal von Rick Grimes (Andrew Lincoln), der aus dem Koma in die Postapokalypse erwacht und sich auf die Suche nach seiner Familie begibt. Nach nur drei Folgen entwickelt sich die Serie bereits zu der Survival-Geschichte eines kleinen Kollektivs von Überlebenden, das auf der Farm von Hershel (Scott Wilson) Asyl findet und zu Beginn noch von Ricks bestem Freund, Shane (Jon Bernthal), angeführt wurde. Rick tritt allerdings sehr schnell als eine Art Natural-Born-Leader auf, wodurch immer größer werdende Spannungen zwischen diesen beiden entstehen und der Zuschauer sich irgendwann fragen muss, welcher Führungsstil denn der richtige in einem solchen Szenario ist. Shane, der bereits eine gewisse Zeit mit der Gruppe und den Untoten verbracht hat, ist sich nie zu schade, auch radikale Entscheidungen zu treffen, wenn es um die körperliche Unversehrtheit der eigenen Leute geht. Rick dagegen ist zögerlich, wenn es darum geht, entgegen den Gewohnheiten der früheren Zivilisation und seinen eigenen Prinzipien als ehemaliger Polizist zu handeln. Neben diesen beiden Figuren ist Dale (Jeffrey DeMunn) derjenige, der den wesentlichen Charakter dieser Show schon sehr früh verkörpert. Es sollte eben nie an erster Stelle um Untote oder große Action gehen. Von Anfang an drehte sich alles um die Menschen. Als die Gruppe unentschlossen ist, ob sie den fremden Randall (Michael Zegen) hinrichten soll, findet folgender Dialog zwischen Dale und Shane statt:

Shane: "You deny we're in danger, Dale?"
Dale: "No, but there's a dozen of us, one of him."
Shane: "There's thirty of them."
Dale: "Killing him doesn't change that... but it changes us."

Die Welt, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Und in einer Welt, in der alle bekannten Strukturen eingebrochen sind, werden die Rollen neu verteilt und jeder Überlebende muss für sich selbst herausfinden und entscheiden, was er aus sich macht und wer er in dieser neuen Welt sein möchte.
So beobachten wir beispielsweise einen Daryl Dixon (Norman Reedus), der sich zunächst von einem absoluten Außenseiter zu einem wichtigen Bestandteil der Hauptgruppe entwickelt. Hier findet er über die Jahre ein Maß an Wertschätzung, wie sie ihm in seinem Leben vor dem Ausbruch gänzlich gefehlt hatte. Diese erarbeitet er sich, indem er bereits früh seine mir-liegt-nichts-am-Herzen-Maske fallen lässt und sich ins Zeug legt, um die verschwundene Sophia (Madison Lintz) zu finden. Im Dienste seiner neuen Familie zu allem bereit und immer an vorderster Front, wächst er im Endspurt der Serie sogar zu einer Vaterfigur für Judith (Cailey Fleming) und RJ (Antony Azor) heran. Daryl ist eine Art Vorzeigekind der Serie, seine Entwicklung verläuft fast ohne Umwege positiv und man kann wohl (mit Vorsicht) sagen, dass die Apokalypse für ihn eine Chance bedeutet hat, etwas aus sich zu machen und einen Platz für sich in dieser Welt zu behaupten.

"We are the walking dead"

Dann wäre da aber noch ein gewisser Rick Grimes. Er ist nicht ohne Grund auch lange nach seinem Austritt aus der Serie DAS Gesicht von 'The Walking Dead'. Er verkörpert alles, wofür die Serie steht und wo sie von Anfang an hinwollte. Sobald Rick sich als Anführer der Gruppe wiederfindet, weil es die Situation so zu erfordern scheint, muss er eine bittere Pille nach der anderen Schlucken, die ihm die Welt der Untoten serviert. Nachdem es zu ständigen Meinungsverschiedenheiten mit Shane kommt, weil dieser sich seit dem Ausbruch eine töten-oder-getötet-werden-Mentalität angeeignet hat, ist Rick schon bald gezwungen, seinen ehemals besten Freund umzubringen. Ironischerweise, um nicht von ihm getötet zu werden... Als die Farm verloren ist und sich die Gruppe auf den Highway rettet, droht Rick die Kontrolle über die Gruppe zu verlieren. Um alle zusammenzuhalten und beschützen zu können, greift er dann zu einem ganz bestimmten Hilfsmittel: Angst. Rick konfrontiert die anderen damit, dass sie ohne ihn nicht überleben könnten und lädt sie gleichzeitig dazu ein, wegzugehen und es auf eigene Faust zu probieren... Sie bleiben. Und Rick schafft mit einem einzigen Satz die Demokratie innerhalb der Gruppe ab.
Im weiteren Verlauf nimmt diese Strenge zunächst wieder ab, auch durch den positiven Einfluss von Hershel und die Tatsache, dass man sich in einem Gefängnis hinter sicheren Mauern niederlassen konnte. Doch der Tod seiner Frau, Lori (Sarah Wayne Callies), und die Begegnung mit dem Governor (David Morrissey) leitet gleich die nächste radikale Veränderung des Helden ein.

Mit dem Governor und seiner Stadt Woodbury stoßen wir zum ersten Mal auf eine größere Gemeinschaft von Menschen. Woodbury wird hauptsächlich von guten Leuten bevölkert und es scheint dort allen gut zu gehen. Allerdings wird schnell klar, dass der Governor und seine Handlanger im Hintergrund über Leichen gehen, um die Stadt aufrecht zu halten und die Menschen zu versorgen. Der Anführer dieser neuen Gemeinschaft tritt regelrecht als Äquivalent eines Familienvaters auf, dessen Fürsorge und Empathie sich lediglich über seine Nächsten erstreckt. Nachdem durch seine Hand das Gefängnis und damit zum zweiten Mal die Hoffnung auf eine dauerhafte Bleibe für Rick ins Wasser fällt, verliert sich die Gruppe zudem noch in den Wäldern aus den Augen und es beginnt ein erneuter Überlebenskampf in der Natur. In dieser Phase, getrieben von nichts als dem Willen zu überleben, verliert Rick nach und nach jegliche Nachsicht mit fremden Überlebenden. Als er, Carl (Chandler Riggs), Michonne (Danai Gurira) und Daryl unterwegs bedroht werden, macht er auf animalische Art und Weise kurzen Prozess mit einem der Männer, indem er ihm ein Stück von seinem Hals abbeißt.

No Sanctuary

In Terminus gerät die Gruppe in den Hinterhalt der Kannibalen. Hier haben wir es mit Leuten zu tun, die ihr Handeln damit rechtfertigen, dass ihnen zuvor schreckliche Dinge von Fremden angetan wurden, denen sie Zuflucht geboten hatten. Sie erklären sich die neue Welt damit zurecht und scheinen von unserer Gruppe zu erwarten, Verständnis dafür zu zeigen. Selbst im Angesicht ihres Todes. Die Kannibalen locken Ricks Gruppe allerdings nicht nur in einen Hinterhalt, sondern bringen sie viel mehr alle wieder zusammen. Als diese sich in den Containern wiederfindet, in denen sie gefangen gehalten wird, kommt sogar noch mehr Schlagkraft zusammen als vorher. Denn es sind Charaktere wie unter anderem Abraham (Michael Cudlitz)Rosita (Christian Serratos) und Tara (Alanna Masterson) dazugekommen. In dieser Szene erkennt Rick etwas ganz Besonderes und enthüllt in gewisser Weise sein neues Gesicht"They're fucking with the wrong people!Rick sieht hier in seinen Leuten keine hilflosen Menschen mehr, die er beschützen muss. Er erkennt, dass diese Gruppe Problemen standhalten und ums Überleben kämpfen kann. Und vor allem, dass sie immer wieder den Weg zueinander findet.

Four Walls and a Roof

Die Ankunft in Alexandria markiert einen entscheidenden Punkt in der Geschichte der Postapokalypse. Von Aaron (Ross Marquand) gescoutet und eingeladen, akzeptiert Rick, wenn auch mit Vorsicht und großem Misstrauen, seine Gruppe in diese neue Stadt zu bringen. Rick begegnet den Menschen von Alexandria, die es geschafft hatten, von Beginn an hinter ihren Mauern in Sicherheit zu leben, mit einer Arroganz, wie man sie bis dahin nicht gesehen hatte. Sein Auftreten wirkt regelrecht elitär. Neben dem Vertrauen, das er in seine eigenen Leute aufgebaut hatte, wuchs gleichzeitig die Abneigung gegenüber anderen Menschen in ähnliche Höhen. In der Wildnis stellten sie für ihn eine Bedrohung dar, innerhalb der Mauern von Alexandria ist dagegen die Schwäche der Einheimischen eine Gefahr für die Sicherheit der Gruppe. Deanna (Tovah Feldshuh) führt diese Stadt mit dem Wunsch nach einer lebenswerten Zukunft an und betrachtet die Neuankömmlinge aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Außenwelt als eine Bereicherung. Rick teilt zwar gleich zu Beginn den Wunsch nach einer Zukunft in Alexandria, allerdings zweifelt er daran, ob die Einheimischen auch ein Teil von ihr sein sollten. Das Zusammenleben dieser grundverschiedenen Seiten führt aber ebenso zu neuern Synergien, etwa zwischen Daryl und Aaron, wie zu Konflikten und anderen Problemen –Toden. Mit dem Fall der Mauern als Folge des Angriffs der Wolves und dem darauf folgenden gemeinsamen Kampf gegen die Walker wird schließlich ein neues Kapitel in der Evolution von 'The Walking Dead' erreicht. Die Einheimischen sind endlich zum größten Teil davon überzeugt, dass sie von den Neuen lernen müssen, wie man überlebt. Und Rick muss sich eingestehen, dass diese Leute auch wirklich von ihnen lernen und sich weiterentwickeln können.

The First Day of the Rest of Your Life

Während sich das Zusammenleben in Alexandria allmählich einpendelt, betritt Jesus Rovia (Tom Payne) die Bildfläche und gibt den Startschuss für eine neue Ära ab. Wir lernen mit der Zeit seine Heimatkolonie, Hilltop, als eine sich selbst versorgende Bauerngemeinschaft kennen. Auch das Kingdom und sein König Ezekiel (Khary Payton) werden sehr bald eingeführt und diese drei Gemeinschaften, zusätzlich Oceanside, stehen schon bald als eine Allianz ihren gemeinsamen Unterdrückern gegenüber: Den Saviors. Spätestens an diesem Punkt offenbart 'The Walking Dead' seine wahre Natur vollkommen. Angefangen als Survival-Geschichte, bewegen wir uns inzwischen inmitten verschiedener Gemeinschaften mit unterschiedlichen Führungsstilen und Arten des Zusammenlebens. Wir erkennen nun immer mehr Dinge wieder, die uns an das frühere Leben erinnern und die Ausgangsfrage, wer man denn in dieser neuen Welt sein möchte, ist mittlerweile mehr auf gesellschaftlicher Ebene zu betrachten.
Die Saviors führen sich unter der Führung von Negan (Jeffrey Dean Morgan) als die Retter der Menschheit auf. Sie zwingen anderen Gemeinschaften ihren Schutz auf. In Grundgesetzvokabeln ausgedrückt: Körperliche Unversehrtheit. Im Gegenzug beanspruchen sie, den Großteil der hergestellten oder anderswo aufgetriebenen Güter der jeweiligen Gemeinschaft für sich. Was die Saviors besonders bedrohlich macht, ist vor allem ihre zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber den anderen im einzelnen. Das ist Rick zunächst nicht klar. Bei den ersten Begegnungen mit den Saviors, die ihm und seinen Leuten mehrfach den Weg nach Hilltop abschneiden, sehen wir einen durchaus überheblichen Rick Grimes. Die Erfolge im Kampf um das Überleben und gegen feindselige Menschengruppen haben ihm jegliche Angst vor fremden Bedrohungen genommen.

Und dann tritt Negan zum ersten Mal auf. Das Exempel, dass er an Glenn (Steven Yeun) und Abraham statuiert, schafft es schließlich, Rick zu brechen und ihm wieder vor Augen zu führen, dass er und seine Leute nicht unbesiegbar sind.

"My mercy prevails over my wrath"

Wir machen einen Zeitsprung zu dem Ende des Krieges gegen die Saviors. Rick und Negan liefern sich abseits des restlichen Schlachtfeldes einen Kampf unter Anführern, den Rick für sich entscheidet, indem er Negan am Hals verwundet. "Ich werde dich töten! Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber ich werde dich töten!", waren die Worte, die Rick zu zwei verschiedenen Zeitpunkten an seinen Feind gerichtet hatte. Als er diesen allerdings endlich bezwungen und tödlich verwundet hat, befiehlt er seinen Leuten, ihn zu retten. Trotz allem Leid, dass die durch ihn erlitten haben, und auf Kosten einer wütenden und enttäuschten Maggie (Lauren Cohan)Rick lässt Negan weiterleben, weil er ein Zeichen setzen möchte. Nachdem es bisher in der Apokalypse größtenteils um das bloße Überleben ging, ist er der Überzeugung: "There has to be something after". Und demnach muss Negan am Leben bleiben und mit ansehen, dass die Menschen dazu fähig sind, sich erneut eine lebenswerte Welt aufzubauen. Rick möchte Carls Wunsch einer friedlichen Welt zur Wirklichkeit machen und ist bereit, jeden an dieser Zukunft teilhaben zu lassen, der bereit ist, beim Aufbau mitzuhelfen und das Töten sein zu lassen.

Who are we now?

Rick Grimes, der ehemalige bescheidene Kleinstadtpolizist, der die postapokalyptische Welt mithilfe seiner Weggefährten wieder ins Licht führen wollte, geht bei einer Heldentat verloren und seine Leute bleiben in der Trauer um ihn zurück. Während Rick zuletzt, nicht nur metaphorisch, Brücken baute, um die verschiedenen Gemeinschaften miteinander zu verbinden, leben diese sechs Jahre nach seinem Verschwinden in absoluter Isoliertheit voneinander. Alexandria, das nun von Michonne angeführt wird, hat jegliches Vertrauen in die Außenwelt verloren und lehnt fremde Personen prinzipiell ab. Hilltop und das Königreich haben jeweils für sich Probleme damit, ihre Existenz weiterhin zu sichern. Das Sanctuary ist schon lange nicht mehr. Das Vermächtnis von Rick Grimes ist mit den Jahren gänzlich verloren gegangen und während Ezekiel die Gemeinschaften auf einem großen Fest wieder vereinen möchte, taucht auch schon die nächste große Gefahr auf...

Geflüster

Die Whisperers sind ohne Zweifel die unheimlichsten Widersacher im Laufe der gesamten Serie. Sie haben sich zum Zwecke des reinen Überlebens von jeglichen Angewohnheiten der früheren Zivilisation verabschiedet und leben wie die Wilden unter den Untoten. Gefühle sind hier nicht erlaubt und wer ein Anzeichen von Schwäche zeigt, der wird als Gefahr für die Gruppe gleich aussortiert. Vorgelebt und aufgezwungen wird diese Lebenseinstellung von der Anführerin, Alpha (Samantha Morton)Jene Alpha ist aber auch diejenige, durch die wir letztendlich die Bestätigung dafür bekommen, dass der Mensch nun mal ein emotionales Wesen ist und diesen Umstand nicht einfach ändern kann. Sobald es um ihre eigene Tochter geht, handelt sie nämlich entgegen ihrer eigenen Überlebensregeln, um diese zurückzugewinnen. Es wird deutlich, dass ihre Philosophie, eine Falschinterpretation von Stärke, einzig dem Willen entsprungen war, ihr eigenes Kind zu schützen. Alphas Verwechslung der Stärke mit Emotionslosigkeit ist es aber letztendlich, was Lydia (Cassady McClincy) emotional von ihrer Mutter entfernt und diese verwundbar für Negans Hinterhalt macht, der sie schließlich das Leben kostet. Die Whisperers verkörpern so ziemlich das Gegenteil von dem Zukunftsszenario, das Rick sich vor seinem Verschwinden zuletzt ausmalte. In ihnen und ihrem gewalttätigen Vorgehen gegen unsere Hauptgruppe spiegelt sich die gesamte Grausamkeit der Postapokalypse wieder und trägt kurz vor der Schlussphase entscheidend zur Wiedervereinigung der Gemeinschaften bei, welche im Angesicht dieser Bedrohung wieder zueinander finden und den Feind gemeinsam bezwingen.

Eat the Rich

Selten schließt sich ein Kreis so schön. Nach zehn Staffeln der Begegnungen mit Gegnern, die nach dem "Weltuntergang" ihren menschlichen Abgründen unterlagen und die neue Welt als einen Ort der Gewalt interpretierten, gelangt die Gruppe nun in das Commonwealth. Hier sind die Menschen bestens vor der Außenwelt geschützt und gehen einem Leben nach, das an die frühere Welt anlehnt und ihre Regeln befolgt. Die Bürger des Commonwealth gehen so weit es geht ihren alten Berufen nach und wenn das nicht möglich ist, dann bekommen sie einen Job zugeteilt. So wird Daryl zum Beispiel entsprechend seiner Fähigkeiten dem Militär zugeteilt. Sogar Politik wird hier betrieben und sie findet in dem Oberhaupt Pamela Milton (Laila Robins) ein repräsentatives Gesicht. Während wir unter anderem Daryl, Carol (Melissa McBride) oder Eugene (Josh McDermitt) während ihrer Erfahrungen mit dem Commonwealth begleiten, erkennen wir nach und nach, dass diese intakt wirkende Gesellschaft nach früherem Vorbild auch die Schattenseiten der altbekannten Zivilisation fortbestehen lässt. Es besteht ein großes Gefälle zwischen den wohlhabenden Bürgern und der Unterschicht, die sich allmählich beginnt gegen die Regierung aufzulehnen. Auch wird bald klar, dass imperialistische Ziele verfolgt werden. Das Commonwealth besetzt Alexandria und die anderen uns bekannten Gemeinschaften und hisst dort die eigene Flagge. Es versucht, sich sein Umfeld einzuverleiben, dadurch seinen eigenen Einfluss auszuweiten und aus den Ressourcen und der Arbeitskraft der Schwächeren Profit zu schlagen. Lance Hornsby (Josh Hamilton) verfolgt dabei sogar aus reiner Machtsucht noch eine ganz eigene Agenda und erhofft sich die Führungsposition über die eroberten Gemeinschaften. Am Ende kommt es aber, wie es kommen muss und unsere Überlebenden rund um Daryl, Carol, Maggie und Negan bezwingen Pamela Milton und ihre Armee und übernehmen das Commonwealth. Daryl erhält dabei die Ehre, die vielleicht wichtigsten Worte der gesamten Show auszusprechen: "You built this place to be like the old world. That was the fucking problem! [...] We got one enemy, we ain't the walking dead!" Womit ich, voller Gänsehaut, weil ich die Szene soeben für das exakte Zitieren nochmal angeschaut habe, zu meinem Fazit komme. Deswegen dieser ganze Weg bis hierhin...

Open Your Eyes

'The Walking Dead' erzählt die Geschichte einer Gruppe von zunächst einander fremden Menschen, die in einer dystopischen Welt gemeinsam unzählige Gefahren überstehen, dabei immer wieder Verluste erleiden und auch auf neue Verbündete stoßen, bis sie sich letztendlich als Kollektiv über die vor und während der Apokalypse vorherrschenden Vorstellung einer Zivilisation erheben. Wenn man so will, als eine Art "Übermenschen", wie sie von Nietzsche beschrieben wurden. Die Gruppe von Überlebenden, die sich zunächst um Rick Grimes bildete, musste sich in ihrem Kampf um das Überleben und Aufbauen einer neuen Zukunft verschiedensten Bedrohungen stellen, die jede für sich eine karikaturistische Überspitzung von tatsächlichem menschlichen Verhalten darstellte. Als eine Antwort auf die von toten beherrschte Welt handelte jede feindliche Gruppe oder Person nach Moral- und Wertevorstellungen, auf denen niemals hätte eine neue Zivilisation aufbauen können. Rick und die anderen gerieten währenddessen aber selber immer wieder auf Abwege, weil der Umgang mit der Postapokalypse und den Menschen, die sie bewohnten, sie immer wieder herausforderte und nicht zuließ, dass man mit sauberen Händen am Ziel ankommen konnte. Rick selbst entwickelte sich von einem netten Vorstadtpolizisten zu einem echten Anführer, der nach dem Verlust seiner Frau dem totalen Wahnsinn unterlag und viel Zeit brauchte, um sich wieder zu sammeln und für seine Leute da zu sein. Um sich dann im weiteren Verlauf für die Sicherheit seines Sohnes und seiner Freunde in einen kaltblütigen Mörder zu verwandeln. Nach einer kurzen Phase der Arroganz, Überheblichkeit und schließlich durch Negan bedingter Gebrochenheit, wurde er am Ende zur Symbolfigur für eine zusammenarbeitende neue Welt. Man war gezwungen, sich über die Jahre ständig neu zu erfinden. Sowohl als einzelne Person, jeder für sich, als auch als Gruppe. Der Begriff der Familie innerhalb dieser Leute hat sich währenddessen zu etwas ausgeweitet, mit dem einfache Blutsverwandtschaft nicht im entferntesten mithalten kann. Und diese neuartige Familie begegnet zum Schluss der früheren Zivilisation in Form des Commonwealth und stellt fest, dass die Antwort auf ihre Probleme nicht die Rückkehr zum Altbekannten ist, sondern der Aufbau von etwas Neuem. Etwas Besserem. Und der Schlüssel dazu liegt einzig und alleine bei Daryl, Maggie, Ezekiel und allen anderen, die durch die Hölle gegangen sind, ohne sie mit der Zukunft zu verwechseln und an ihr gewachsen sind.


©AMC

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